Bitcoin verbieten aufgrund von Energiekrise?
Paul Niggli, ehemaliger Swissgrid Krisenmanager, möchte Bitcoin verbieten. Wir zeigen auf, wieso Bitcoin keine Energie verschwendet, sondern vielmehr zum Ausbau erneuerbarer Energien anregt.
Lesezeit: 7 Minuten 23 Sekunden
Nachdem wir uns in der ersten Woche die Inflation in den USA und in der zweiten Woche Europa etwas genauer anschauten, wollte ich eigentlich diese Woche einen Blick in Richtung Asien werfen. Nun ist aber ein breit gestreutes Interview mit Paul Niggli, seines Zeichens ehemaliger Swissgrid Krisenmanager und selbsternannter Energieexperte, dazwischengekommen. Das Interview wurde auf Watson, einigen Titeln der AZ Medien und auf Twitter geteilt und hat den Komiker, Mike Müller, zu einem weiteren Bitcoin-Bashing verführt. Das können wir natürlich nicht so stehen lassen.
Der heutige Newsletter angelt sich entlang der folgenden Fragen und regt hoffentlich die Leser zum Nachdenken an:
1. Bitcoin und der Energieverbrauch - wofür genau wird Energie verwendet?
2. Alternative zu Bitcoin - wie hoch ist der Energieverbrauch für das traditionelle Finanzsystem?
3. Bitcoin Energieverbrauch relativ zu anderen Aktivitäten - Ist es das wert?
4. Kann Bitcoin vielleicht sogar helfen beim Ausbau der erneuerbaren Energie?
5. Weitere Informationsquellen zum Energieverbrauch von Bitcoin
6. Meme of the week
Bitcoin und der Energieverbrauch - wofür wird Energie verwendet?
In besagtem Interview moniert Herr Niggli, dass eine einzige Transaktion im Bitcoin Netzwerk so viel Energie verbraucht wie ein Haushalt in 1.5 Monaten. Das ist faktisch falsch. Eine Transaktion braucht praktisch keine Energie (abgesehen von der sowieso benötigten Batterielaufzeit des Handys oder des Computers).
Was stimmt, ist dass der Bitcoin Mining Prozess (Proof-of-Work genannt) energieintensiv ist. Dementsprechend braucht die Sicherung des Netzwerks Energie, nicht die Transaktionen. Man kann also auch sagen, je höher der investierte Energieaufwand, desto höher die Sicherheit und die Stabilität des Netzwerks.
Eine Analogie in's Bekannte wäre der Aufbau eines globalen Zug-Netzes. Um den Aufbau und den Unterhalt eines solchen Netzes hinzukriegen, müssen riesige Mengen an Stahl (für Gleise, Züge), Elektronik, Kunststoff, IT etc. investiert werden.
Und jetzt fährt man einmal von Zürich nach Bern, dividiert sämtliche Investitionen in die Infrastruktur durch eine Fahrt und extrapoliert diese Zahl auf's Zugfahren in der ganzen Welt. Das ist schlichtweg Nonsense. Eines ist der Aufwand für die Infrastruktur und das andere sind effektive Aufwände pro "Handlung". Offensichtlich ist das aber immer noch eine Meinung, die man in Schweizer Medien ohne Gegenrede von sich geben kann.
Solche Aussagen und Artikel führen dann dann zu rückwirkend peinlichen Schlagzeilen, wie dieser bereits im 2017 veröffentlichte Artikel der Newsweek:
Die Realität sieht aber so aus: Bitcoin verwendet momentan weniger als 0.05% des globalen Energieaufkommens. Die grossartige Makro-Analystin, Lyn Alden, geht in diesem sehr informativen Artikel länger darauf ein.
Nun gut, jetzt haben wir gelernt, dass Bitcoin-Mining wohl Energie braucht, Transaktionen aber nicht. Was ist denn aber Bitcoin Mining? Die kurze Antwort: Bitcoin Miner investieren Rechenleistung, um die Historie der Bitcoin Blockchain (Timechain) zu sichern. Dafür werden sie mit Bitcoin belohnt. Man könnte also auch sagen, um die Sicherheit und die Dezentralität des Netzwerks zu sichern, muss Arbeit (in diesem Fall Rechenleistung), reingesteckt werden. Die lange Antwort erspare ich euch in der heutigen Ausgabe und werde stattdessen während den nächsten Wochen im Detail auf den Mining, resp. den PoW (Proof-of-Work) Prozess, eingehen. Wer sich aber bis dahin schon ein Bild machen möchte, dem empfehle ich die Episode "Bitcoin Mining Masterclass with Dan Roberts" vom "What is Money?" podcast.
Vermutlich reicht die Erklärung, ob Transaktionen oder Mining Energie brauchen, noch nicht um Kritiker zu überzeugen. Ich gehe deshalb entlang von drei entscheidenden Fragestellungen auf diese Thematik ein und hoffe, die eine oder andere Leserin zum Grübeln zu bringen.
Alternative zu Bitcoin - wie hoch ist der Energieverbrauch für das traditionelle Finanzsystem?
Wie bei allem besteht das Leben aus dem Abwägen verschiedener Optionen. Auf das obige Beispiel bezogen wäre der Energieverbrauch von Zügen erheblich, aber was sind die Alternativen? Flugzeuge, Schiffe, Autos, Lastwagen oder keine Mobilität.
Bei Bitcoin starten diese Fragen relativ simpel. Und zwar:
Wieviel Energie wird für das traditionelle Finanzsystem verwendet? Ganz pingelig - zugegeben aber auch hinkend - wäre dieser Vergleich zu allen Mitarbeitern, den Arbeitswegen, allen physischen Standorten etc. Aber wenn man nur schon die Datencenter der Banken vergleicht, zeigt sich ein klares Bild.
Oder aber auch, wieviel Energie wird für das Schürfen von Gold verwendet?
Nach den ersten simplen Fragen werden sie dann schnell abstrakter, aber mindestens so wichtig:
Wieviel Energie braucht die Menschheit aufgrund eines auf Konsum, und stets inflationären Finanzsystems? Ich empfehle das Buch "The price of tomorrow" von Jeff Booth.
Wieviel Energie wird für das Militär der USA aufgewendet um die Vormachtstellung des USD als Petrodollars zu verteidigen?
Wie hoch ist der Preis, den die Gesellschaft zahlt für die momentane Geldpolitik? Da gibt es tausende von Ressourcen, die Webseite "WTF happened in 1971" ist aber ein guter erster Schritt.
Diese Fragen sind sehr gross und vermutlich für die wenigsten Leute direkt zu beantworten. Auch für mich sind sie selbst nach drei Jahren intensiver Auseinandersetzung damit noch schwer zu greifen. Sollten dich die Fragen aber interessieren, lohnt sich die Auseinandersetzung mit Bitcoin.
Interessieren dich diese Fragen noch nicht, dann geht's hier weiter:
Bitcoin relativ zu anderen Aktivitäten - Ist es das wert?
Praktisch alle technologischen Fortschritte kommen mit erhöhtem Energiebedarf. Lampen brauchen mehr Energie als Kerzen, Ozeandampfer mehr als Ruderboote, Computer mehr als Notizhefte etc. Dementsprechend sind wir auch von abertausenden Produkten und Dienstleistungen umgeben, welche in irgendeiner Art und Weise Energie aus dem Netz beziehen. Doch wie steht Bitcoin in diesem Vergleich und insbesondere welche Bedeutung haben sie für wen?
Starten wir zuerst mit einem Vergleich zu anderen Industrien:
So sieht man schnell, dass bspw. Weihnachtsbeleuchtung, Klimaanlagen, Computerspiele, Datencenter und Wäschetrockner massiv mehr Energie verbrauchen.
Bei Fragen wie "Ist Bitcoin wichtiger als Weihnachtsbeleuchtung?" oder ist "Bitcoin wichtiger als Wäschetrockner?" werden Skeptiker wahrscheinlich immer noch ungläubig den Kopf schütteln und denken, diese Bitcoin-Anhänger sind nicht ganz dicht. Von Weihnachtsbeleuchtung hat man ja schliesslich etwas...
Deshalb erlaube ich mir, diese Fragen etwas anders zu stellen:
Ist es wichtiger, dass ich 24/7 Zugriff auf meine Daten in der Cloud habe oder ist es wichtiger, dass Flüchtlinge ihr Erspartes nicht konfiszierbar transportieren können?
Ist es wichtiger, ob die knapp 25% der Menschheit (ca. 2 Mrd. Menschen) ohne Bankkonto Zugriff auf ein funktionsfähiges, nicht manipulierfähiges Finanzsystem haben oder ob ich im Dezember die beleuchtete Bahnhofstrasse bestaunen darf?
Ist es wichtiger, dass wir Schweizer das neuste world of warcraft spielen können oder ob die 38% der unter einem autoritären Regime lebenden Menschen ihr Geld sparen in einer nicht blockierbaren Technologie?
Ist es wichtiger, ob in Afghanistan lebende Frauen etwas finanzielle Autonomie erlangen oder ob die Skeptiker 24/7 über eine Technologie tweeten können, die sie offensichtlich nicht verstehen?
Diese Fragen mögen auf den ersten Blick überraschend, vielleicht sogar absurd, klingen. Aber ein Blick in die weltweite Verteilung der Bitcoin-Nutzer gibt aber bereits ein aufschlussreiches Bild, wo die Technologie am meisten Nutzen bringt.
Hat es dich zumindest etwas zum Grübeln gebracht, dann empfehle ich dir wärmstens, dich weiter in Bitcoin einzulesen. Als Start kann ich diesen Ausschnitt aus dem Podcast zwischen Lex Fridman und Alex Gladstein (CSO der Human Rights Foundation und Autor des Buches "check your financial privilege") empfehlen.
Vielleicht hatte Henry Ford bereits 1931 gute Ideen, wie man humanitäre Katastrophen verhindern könnte:
Falls dich das immer noch nicht überzeugt, dann kommen wir noch zum vorerst letzten Teil der Fragerei.
Kann Bitcoin vielleicht sogar beim Ausbau der erneuerbaren Energien helfen?
Ein grosses Problem erneuerbarer Energien ist ihre Unbeständigkeit. Solar produziert nur Energie wenn die Sonne scheint, Windturbinen nur wenn es windet etc. Auf der anderen Seite steht der Verbrauch von Energie der Bevölkerung. Sowohl saisonal (im Winter brauchen wir mehr Energie als im Sommer), als auch im Tagesverlauf (zwischen 17:00 und 21:00 Uhr verbrauchen wir mehr Energie als mitten in der Nacht) nimmt der Bedarf an Energie keine Rücksicht auf den Sonnenstand. Das führt jeweils zu Unter- oder Überproduktion von Energie.
Es gibt noch ganz viele andere Überschussenergie (wie bspw. "flared gas" in den USA). Global werden sagenhafte 34% der Energieproduktion nicht verwendet. Wenn man das mit den 0.05% von Bitcoin vergleicht, wird die Diskussion sowieso schon absurd. Aber was wäre denn nun, wenn Bitcoin gar hilft, diese 34% abzuschöpfen?
Und genau das passiert gerade. Bitcoin Miner sind wirtschaftlich motiviert, Überschussenergie zu verwenden. Das heisst, je tiefer die Energiekosten, desto profitabler sind sie, desto mehr können sie in die Infrastruktur investieren. Bitcoin Mining ist sofort unprofitabel (und wird folglich sofort abgestellt), sobald Energiebedarf der Gesellschaft da ist. Und dementsprechend ist die Schweiz auch komplett irrelevant im Bitcoin Mining Markt, da das Stromnetz schon sehr effektiv ausgelastet ist.
Die Frage zum Nachdenken ist deshalb: "Was passiert mit der Profitabilität (und damit auch dem Anreiz für Investitionen), wenn ein Windkraftwerk plötzlich morgens um 03:00 Uhr weiterdrehen kann, da die Energie effektiv verwendet wird und der Betreiber sogar noch Geld verdient damit?"
David Marcus, von der Bilanz schon mehrmals als einer der wichtigsten Schweizer im Silicon Valley ausgezeichnet, teilte dazu das untenstehende Video.
Dieses Thema könnte man noch unendlich lange so weiter diskutieren. Für den Moment belasse ich es dabei und verweise untenstehend gerne noch auf ein paar weitere Ressourcen zum tiefer abtauchen.
Es ist mir lediglich wichtig aufzuzeigen, dass Bitcoin eine unfassbar wertvolle Errungenschaft sein wird und nichts mit einem nichtsnutzigen Spekulationsobjekt zu tun hat. Ich empfehle das Eintauchen und Lernen in diese Technologie wärmstens und freue mich auf spannende Diskussionen.
Weitere Informationsquellen zum Energieverbrauch von Bitcoin
Lyn Alden - Bitcoin's Energy usage isn't a problem. Here's why.
The investor's podcast by Preston Pysh - The Bitcoin Energy revolution with Shaun Connell
Lots of great material by Nic Carter - kurzes Video zum Start, ich empfehle aber insbesondere die umfangreichen Essays auf seiner Webseite
Buch "The price of tomorrow" von Jeff Booth
Buch "The Bitcoin Standard" von Saifedean Ammous
Die bald 20 Folgen umfassende Podcast Serie "What is Money" von Robert Breedlove mit Michael Saylor ist eine meiner Favoriten. Es braucht Zeit und Durchhaltewillen, aber es lohnt sich!
Wenn du damit durch bist, kannst du dich gerne bei mir melden für weiteres Material.