Grüezi wohl und einen wunderschönen guten Morgen aus Zürich,
Danke vielmals für die vielen guten Hinweise auf meinen ersten Wurf des Coprnic Newsletters. Hat mich riesig gefreut und ich bin mir sicher, das Profil des Newsletters wird sich über die nächsten Monate mit euren Inputs weiter schärfen. Während wir letzte Woche über Inflationszahlen in den USA berichteten, schauen wir diese Woche direkt zu unseren Nachbarn. Und zwar geht es konkret um:
1. Europa - Quo Vadis?
1.1 Explodierende Energie- und Erzeugerpreise in der Eurozone
1.2 Implodierender Euro verteuert Importe weiter
2. Rückfragen zum letzten Newsletter
3. Tweet of the week: Schweizer Macro Analyst "Stack Hodler" mit beeindruckender Prognose im Dezember 2021
Europa - Quo Vadis?
Letzte Woche wurden die europäischen Inflationszahlen veröffentlicht. Im Euroraum lagen sie bei 8.9% und in der EU bei unglaublichen 9.8% im Jahresvergleich. Der tiefste Wert liegt mit 6.8% in Frankreich und der Höchste mit 23.2% in Estland. Das erklärte Ziel der EZB liegt bei 2% jährlicher Inflation, wovon man selbstredend meilenweit entfernt ist. In den USA kommt leise die Hoffnung auf, dass die Spitze der Inflation gebrochen ist, wie der Anlagechef der CS in der NZZ bestätigt. Davon kann im Euroraum keine Rede sein. Im Gegenteil - in Deutschland geht der Bundesbankpräsident, Joachim Nagel, davon aus, dass im Herbst zweistellige Inflationszahlen erwartet werden.
Wenn man den europäischen Wirtschaftsmotor, Deutschland, etwas genauer unter die Lupe nimmt, zeigt sich ein düsteres Bild. In den letzten Wochen lag der Fokus aufgrund des Ukraine-Krieges primär auf dem Gaspreis. Dieser lag im Jahr 2020 durchschnittlich bei EUR 6.72 pro MWh und liegt jetzt bei über EUR 270 pro MWh. Nun haben sich diese explodierenden Preisanstiege aber auf den gesamten Strommarkt ausgeweitet. Und zwar sind die Strompreise gerade die letzten Tage nochmals um 25% gestiegen, wie die untenstehende Grafik eindrücklich zeigt:
Einige betroffene Politiker schlugen Massnahmen vor, wie weniger Gas verbraucht werden sollte. Unter anderem mit weniger duschen und tieferen Innenraumtemperaturen. Nun hat aber der PPI (Producer Price Index oder in Deutsch Erzeugerpreisindex) die starken Preisanstiege auch abgebildet. Und zwar mit dem höchsten Anstieg seit der Datenerhebung 1949 um unfassbare 37.2% im Jahresvergleich. Dieser Anstieg sagt aus, wie sich die Preise für produzierende Betriebe verändert haben. Der PPI gilt gemeinhin als Frühindikator für auf die Konsumenten zu überwälzende Preiserhöhungen.
Die Schwäche der europäischen Wirtschaft widerspiegelt sich nicht nur in sehr hoher Inflation (die hat die USA auch momentan). Sondern vielmehr auch in einer stets schwächeren Währung und in negativem Wirtschaftswachstum über mehrere Jahre. So hat der Euro sowohl gegenüber dem CHF (0.96 CHF pro EUR), als auch dem USD (0.99 USD pro EUR) ein neues Allzeittief erreicht. Damit zeigt der Devisenmarkt klar auf, dass das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung markant abnimmt und die reale Abschwächung des EUR ggü. anderen Leitwährungen weit über 20% liegt:
Zu guter Letzt haben wir noch kurz die Entwicklung des BIP (Bruttoinlandprodukt oder Gesamtwirtschaftsleistung) der letzten Jahre in der Eurozone angeschaut. Und da hat sich wiederum ein bedrückendes Bild gezeigt. Die USA hat im Jahre 2008 USD 14.77 Billionen und die Eurozone USD 14.16 Billionen erwirtschaftet. Im Jahre 2021 lag die USA dann bei USD 23 Billionen (Wachstum von ca. 55%) und die Eurozone bei USD 14.49 Billionen (kein Wachstum in 14 Jahren). Und das sind alles Nominalwerte, d.h. die Inflation ist da noch nicht eingerechnet. Der europäische Wirtschaftsraum ist also real massiv geschrumpft und wird von den USA und Asien abgehängt. In der Schweiz sind wir in der gleichen Zeitperiode von USD 570 Mrd. auf 812 Mrd. (+ 42%) gewachsen. Wenig überraschend ist das auch in den Aktienmärkten abgebildet, wobei der DAX (Deutscher Leitindex der grössten Unternehmen) auf ein neues Allzeittief im globalen Vergleich fällt.
Coprnic's Take: Was bedeutet das alles?
Einige Politikerinnen und Politiker wollen uns erklären, dass die hohen Energiepreise und die damit einhergehende Inflation lediglich aufgrund des Ukraine-Krieges entstanden. Aber das stimmt nicht. Die Entwicklung wurde durch den Krieg sicher nicht positiv beeinflusst, es gibt aber andere Gründe für den Niedergang von Europa als Wirtschaftsmotor. Die im letzten Newsletter thematisierte USA hat auch erhebliche Probleme momentan, aber sie sind bei weitem nicht so dramatisch wie in Europa.
In erster Linie ist es ist ein weitreichendes Versagen der Politik und zentralisierter Organisationen. Es wurden Entscheidungen getroffen, die sehr weit von der Bevölkerung weg sind und mit denen man insbesondere zwei Utopien bauen wollte.
Erstens eine Energiepolitik, bei der man sich die Hände rein waschen wollte und im Inland resp. innerhalb des Kontinents nur "saubere" Energie produzieren wollte. Die vermeintlich "dreckige" (Definition "dreckig" ist debattierbar) - aber zweifellos nach wie vor dringend notwendige - Energie importiert man lieber. Dass Europa (inkl. der Schweiz) damit komplett von ausländischen Energielieferanten abhängig ist, wollte man den Wählern so nicht sagen. Das hat nicht nur für die einheimische Bevölkerung desaströse Folgen, sondern wird insbesondere auch die Bevölkerung in Entwicklungsländern hart treffen. Dies führt das gegenseitige auf-die-Schultern-klopfen, wie gute Menschen wir doch alle sind, ad absurdum. Entwicklungsländer werden insbesondere aus zwei Gründen getroffen. Erstens wird Europa LNG Gas aus Nordamerika importieren müssen. Dieses wird dann an die vermeintlich zahlkräftigen Länder geliefert und nicht mehr an Länder wie bspw. Pakistan, Bangladesh und Myanmar. Zweitens gibt es in Afrika 14 Länder, die ihre Währung an den Euro gekoppelt haben und damit alle negativen Auswirkungen der Inflation direkt ausbaden müssen. Von den hohen Staatsausgaben profitieren sie aber nicht.
Damit sind wir dann auch bei der zweiten Utopie. Die Geldpolitik im Allgemeinen und die Illusion einer gemeinsamen Währung ohne gemeinsame Fiskalpolitik. Dass immer höhere Staatsausgaben finanziert werden, dysfunktionale Volkswirtschaften auf Kosten anderer querfinanziert werden, die Schere zwischen arm und reich massiv vergrössert wird, elend lange Kriege geführt werden und alles in allem Millionen von Menschen in Armut gedrückt werden, sind direkte Folgen einer verantwortungslosen Geldpolitik. Es ist schwer verständlich, wie so weitreichende und schwerwiegende Fehler ohne Konsequenzen bleiben und nicht öfter in der breiten Bevölkerung diskutiert werden. Die oben angesprochenen 14 afrikanischen Länder, die die Währung an den Euro gekoppelt haben, sind Teil des CFA (Franc of the Financial Community of Africa oder früher Franc of the French Colonies in Africa). Dieser CFA ist de-facto monetärer Kolonialismus, der Frankreich und Europa lange Zeit günstigen Zugriff auf Rohstoffe aus Afrika ermöglichte. Ein Skandal sondergleichen, der mir bis vor rund einem Jahr nicht bewusst war. Ich werde in einem späteren Newsletter noch tiefer darauf eingehen. Wer sich vorher schon damit auseinandersetzen möchte, Alex Gladstein (Human Rights Foundation) hat mit dem Buch "Check your financial privilege" und mit dem kürzeren Essay "Fighting monetary colonialism with open source code" eindrückliche und sehr lehrreiche Ressourcen verfasst.
Betreffend Prognosequalität und Expertenwissen der Notenbanken fand ich diese untenstehende Grafik mit den Prognosen des FED bezeichnend (für die EZB sieht es so aus). Frei nach dem Motto "Starten wir mal mit dem Ziel von 2% und zeichnen dann eine Kurve zur aktuellen Zahl und gut ist mit unserer Prognose". Es ist unverständlich, wieso das Misstrauen gegenüber dieser Institutionen und zentralisierter Geldmengensteuerung nicht grösser ist.
Rückfragen zum letzten Newsletter
Letzte Woche haben wir u.a. die Inflation in den USA und die Situation in Sri Lanka und Pakistan thematisiert. Nochmals danke für das Feedback und die Rückfrage. Gerne gehe ich kurz darauf ein:
1. Was ist bitte der 2-10 Treasury Spread?
Der 2-10 Treasury Spread zeigt, wie hoch der Unterschied zwischen der zehnjährigen und der zweijährigen US-Staatsanleihe ist. Quasi wieviel der Staat für seine Verschuldung bezahlen muss über verschiedene Laufzeiten. Nimmt er bspw. USD 100 Mio. mit zweijähriger Laufzeit auf, so sollten im Normalfall die Zinsen tiefer sein, als wenn sich der Staat über zehn Jahre mit USD 100 Mio. verschuldet. Dies primär weil die Investoren bei längerer Laufzeit länger auf die Rückzahlung warten müssen und dementsprechend mehr Unsicherheit einpreisen. Dreht dieser Unterschied allerdings in's Negative, bedeutet das, dass Investoren lieber zehnjährige Sicherheit haben und weniger Zins verlangen als wenn das Geld nur für zwei Jahre investiert ist. Es ist dann auch ein sehr starker Indikator für eine bevorstehende Rezession, wie untenstehende Grafik zeigt (grau schraffierten Flächen sind Rezessionen in den USA).
Beim aktuellen TIP: Bitcoin Fundamental's podcast ab Minute 02:24 geht es spannenderweise direkt um den Zusammenhang des 2-10 Spreads und der Arbeitslosigkeit in den USA. Das Video ist begleitet mit interessanten Grafiken (leider etwas schlechte Bildqualität) und wärmstens zu empfehlen.
Tweet of the week
Der Schweizer Macro Analyst, der auf Twitter unter dem Pseudonym @stackhodler auftritt, hat im Dezember 2021 eine düstere Prognose abgesetzt. Die ersten Punkte auf der Liste sind entweder bereits eingetroffen oder wurden zumindest international als grosses Risiko erkannt. Der Tweet wird auch immer genau mit den aktuellen Ereignissen protokolliert. Hoffen wir, dass wir die Punkte vier bis elf überspringen und wir direkt bei Punkt zwölf landen.
In den nächsten Wochen werde ich aufzeigen, inwiefern Bitcoin eine Lösung sein kann zu den aufgezeigten Problemen.
Danke für Rückmeldungen
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